Regina Rühlemann
  Neues aus meiner Schreibwerkstatt
 

Die Adoption

Erich ist als begeisterter Züchter über die Landesgrenzen bekannt geworden. Er züchtet Elsässer Graugänse und hat schon viele Preise und Auszeichnungen für sein bildhübsches Federvieh erhalten.
Aber er mutet seinen Lieblingen auch nicht zu viel zu.
Sie dürfen nicht durch Transport und Käfighaltung gestresst werden.
Darum wägt er ganz genau ab, wie viele Ausstellungen und Fahrten ihnen zugemutet werden können.
Auf seinem Grundstück haben sie ihren Auslauf im Gatter und Licht, Luft und Sonne. Das ist gut für den Glanz der Federn, Haltung, Aussehen und ihre Nachkommenschaft. Und auch mit dem Futter kennt er sich ganz genau aus.  

Die Nachbarn sehen oft über den Gartenzaun und freuen sich mit über das schnatternde Federvolk. Wenn ihn aber einer necken will, braucht er ihn nur zu fragen, ob er ihm eine Gans als Weihnachtsbraten verkaufen könnte. Das kann Erich nicht vertragen, da wird er fuchsteufelswild. Seine Gänse werden nicht geschlachtet. 

Auch Nachbar Rainer ist ein erfolgreicher Züchter. Seine Leidenschaft gilt jedoch Zwerghühnern. Und er hat Erich so den Mund wässrig gemacht, dass der auch gern Zwerghühner züchten möchte.
„Kannst du mir zwei Hennen verkaufen und dazu 10 Eier zum Ausbrüten?“
„Ja!“ Gesagt, getan.
Die Glucken sitzen nun bei Erich und brüten. Es dauert. 

Das erste Kücken schlüpft, das zweite, das dritte…
Plötzlich ist eins weg. 

Erich braucht nicht lange zu suchen. Der stattliche Elsässer-Grauganter hat das winzige Federbällchen zwischen seinen hohen Füßen zu stehen.
Kein Versuch gelingt, ihm das Zwerghuhnkücken abzuluchsen. Es ist seins, er gibt es nicht mehr her und er zischt gefährlich, wenn ihm einer zu nahe kommt. Eine Tierfreundschaft wie sie im Buche steht. 

Es spricht sich im Dorf herum.
„Erichs Ganter hat ein Adoptivkind.“
Ein seltener Anblick für groß und klein. Die Nachbarn staunen. 

Und eines Tages bekommt Erich Besuch. Aus der nahen Stadt reist ein Tierfotograf an und verbringt fast einen halben Tag mit seiner Kamera im Gänsegatter. Alle möglichen Verrenkungen macht er, um die Motive vor seine Linse zu bekommen. 

„Na, auf die Aufnahmen bin ich gespannt“ freut sich Erich und sieht seine  Lieblinge schon als Superstars  auf Glanzpostkarten.
Und er fühlt sich bestätigt und für seine Mühe belohnt. 


Viele Wege führen nach Rom

Was hat es auf sich mit dieser Redensart?
Zurückzuführen ist es in die Zeit der Vermessung der Welt und auf die Postkutschenzeit. 

In Rom, auf dem Forum Romanum, hatte Kaiser Augustus vor 2000 Jahren eine vergoldete Säule errichten lassen, auf der alle bekannten Hauptstädte und Provinzhauptstädte mit Entfernungsangaben verzeichnet waren.
Rom galt zu dieser Zeit als der Mittelpunkt der Welt.
Wegweiser mit einer Markierung am Boden führten zu dieser Stele. 

Schon immer hoffte man, den richtigen Weg zu finden aus einem Dilemma, aus einer Lebenssituation oder auf einer Reise, auch wenn er über einen Umweg zustande kam. 

Wenn wir heute den Weg zu einem Reiseziel nicht kennen, bemühen wir Reisekundige, Nachschlagewerke, das Internet oder das Navigationsgerät.

Die Route wird abgeschätzt und berechnet. In unserer heutigen Zeit kann sogar ein ferner Planet das Reiseziel sein. Da müssen der Weg und die Zeit ganz genau stimmen. 

Umkehren? Auch wenn ich mich verfahren oder verrannt habe, versuche ich das Beste daraus zu machen. Dazu gehört Einsicht.
Das Navigationsgerät sagt:
Bitte wenden Sie!
Wenn das nur immer so leicht wäre!
Ankommen ist das Ziel. In der Familie, bei Freunden und Kollegen, im Beruf und im Leben. 

Mancher Weg durchs Leben ist  Zufall. Bei einem Sonntagsausflug oder im Urlaub entdeckt man ein ganz romantisches Fleckchen Erde oder man begegnet Personen, die auf unser weiteres Leben Einfluss haben. Dann entscheidet man sich für einen Weg, der hoffentlich der richtige ist. Was für ein Glück wenn es zutrifft! 

Für das Leben gibt es kein Navigationsgerät, das eine weiche Landung voraus berechnen kann. Und manches kann man nicht beeinflussen. Da muss das Umfeld stimmen. 

Ich denke an das junge Mädchen, das im Internet so gemobbt wurde, dass sie keine Hilfe ilfemehr wusste. Ihr hätte auch keine Flucht geholfen. Sie hat als einzigen Ausweg den Tod gewählt.
Oder die Menschen, die Zivilcourage zeigten, und an U-Bahnschläger gerieten oder an die Opfer der Amokläufer. Da war man einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.  

Es müsste manchmal ein Warndreieck geben. Halt! Bis hierher und nicht weiter!
Aber das ist ein Wunschtraum.
Man kann nur hoffen, dass man im Leben nie zum Falschfahrer wird und immer den richtigen Weg findet, auch wenn es mit Hilfe ist. Dann findet man sicher auch den Weg nach Rom.  

 

Kaffeeklatsch bei Elsbeth 

Das neue Jahr hatte schon wieder einige Monate auf dem Buckel und Elsbeth war dieses Mal an der Reihe, ihre Freundinnen mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen zu bewirten.
Sie bewohnte ein Dreifamilienhaus in der Reihenhaussiedlung des kleinen Ortes.
Ihre Kinder waren längst in der ganzen Republik verstreut und sie war allein geblieben in dem Haus.
Bloß gut, dass sie gute Freundinnen hatte, zu denen sie auch regelmäßig eingeladen wurde.
Doch bei diesem Treffen war Elsbeth irgendwie anders.
“Elsbeth, was ist los mit dir?“ wollten die Freundinnen wissen.
„Ach, wisst ihr, ich schlafe seit Wochen so schlecht. Immer höre ich ein Gerenne und sogar Hundegebell. Und dabei ist doch das Nachbarhaus gar nicht mehr bewohnt.
 Als ich neulich Nacht aufgestanden bin und nachgesehen habe, liefen drei dunkle Gestalten an meinem Schlafzimmerfenster vorbei. Und zwei Hunde hatten sie auch dabei. Mir war richtig ängstlich zumute.“
Die Freundinnen wollten Elsbeth beruhigen:
„Du hast doch überall Sicherheitsschlösser, da kann doch keiner ins Haus gelangen.“
Sicherheitsschlösser hätte sie noch nie besessen und das Haus ist von der Hofseite nicht verschlossen. Durch den Garten, der auch offen ist, könnte man sehr gut ins Innere des Hauses gelangen, berichtete sie. Es sind im Haus noch die alten Schlösser vom Eiswinter 1929.
Die Freundinnen waren sprachlos, doch dann beschlossen sie, bei der Polizei vorbeizugehen und den Vorfall zu melden.
Der Polizist lächelte schwach. „Wie alt ist ihre Freundin?“
„Über achtzig ist sie schon, aber noch klar im Kopf“ gaben die Frauen Auskunft.
Der Beamte nahm die Sache nicht ernst. Es verging eine Zeit. 

Der Zufall brachte aber Licht in die Sache, die Elsbeth nicht schlafen ließ.
Eines Abends war die Straße, in der sie wohnte, abgesperrt.
Polizeibeamte hatten das leer stehende Nachbarhaus umzingelt und gestürmt.
Was für eine Aufregung in der Dorfstraße.
Eine Polizeistreife hatte ein Auto kontrolliert, das aus welchen Gründen auch immer, aufgefallen war.
Man fand im Auto nicht nur den Fahrer, sondern auch Pakete mit Kanabis. Schnell wurde der Anbauort ausfindig gemacht und ausgerechnet war es das Nachbarhaus von Elsbeth, woher die Pflanzen stammten.
Nun setzte die Phantasie der Dorfbewohner ein:
„Alle Etagen sollen mit Rotlichtlampen ausgestattet gewesen sein. Die Elektroleitung haben die Ganoven von der Straße her angezapft. Und wenn sie in der Nacht- und Nebelaktion die Pflanzen gewässert haben, sind sie nachts dort herumgeschlichen, haben sogar mal gebohrt und die Hunde hätten auch öfter gebellt.“
Das konnte Elsbeth noch zum Besten geben.
Die Polizei beschlagnahmte alle verdächtigen Pflanzen, die dort gegrünt und geblüht hatten und Elsbeth konnte endlich wieder ruhig schlafen, wohlgemerkt nun mit Sicherheitsschlössern in ihrem Haus. 

 

Wer einmal lügt… 

Die Statistik sagt, jeder Mensch lügt am Tag 2-  bis 200-mal. Ein bisschen viel, oder?
Am häufigsten gibt es die soziale Lüge, der Schmierstoff sozusagen.
Schon die kleine Frage: Wie geht es dir? beinhaltet eine Lüge, denn im Grunde genommen will man es gar nicht so genau wissen und man ist froh, wenn eine kurze Antwort folgt.
Da hat die gemeine oder Verleumdungslüge einen anderen Stellenwert. Sie soll jemandem schaden. Der Lügner sagt absichtlich die Unwahrheit, um sein Gegenüber in Schwierigkeiten zu bringen und selber der Kritik und Strafe zu entgehen. Ganz schön fies, nicht wahr? 

Da lob ich mir die kleine Notlüge. Jemand lügt aus Höflichkeit oder Scham, aus Angst, Furcht, Unsicherheit oder Not zum Schutz der eigenen Person. Oder er will sich vor den Konsequenzen schützen, die sein Verhalten mit sich bringt.
„Ich habe keine Zeit“ obwohl er zu Hause auf der Couch sitzt und in die Ferne sieht, jeder kennt solche Ausreden. Vielleicht wäre die Wahrheit verletzend und unbequem? 

Oder nehmen wir die kreative Lüge. Der Münchhausen unter den Lügnern, der Lust zum Übertreiben hat. Da fällt uns doch glatt das Jägerlatein oder das Seemannsgarn ein.
Männer lügen, um ihren Status, ihr Ansehen zu erhalten oder aufzubessern und um ihre Männlichkeit herauszustreichen. Was bin ich, was kann ich alles, was kommt noch? Damit will er Eindruck schinden wie der Volksmund sagt. 

Frauen lügen da eher mit ihrem Alter, Gewicht, ihrem Hab und Gut. 

Eine Lüge ist immer eine unwahre Aussage und ist Schwerstarbeit für das Gehirn. Man will die Wahrheit vertuschen, verstrickt sich immer tiefer im Lügengespinst bis das Gerüst zusammenbricht.
Ich denke da an die Vernehmungen beim Gericht. Die ständig wiederholten Fragen, bis alles verworren erscheint.
Lügendetektoren wurden eingesetzt und zeigen einen höheren Puls an bei einer Lüge. Auf jeden Fall sollen sie den zu Vernehmenden ängstigen und psychisch zermürben. In Deutschland ist diese Methode verboten. 

Bekannt ist auch das zwanghafte Lügen, die Verleumdung, der Meineid oder die Falschaussage. Nach der Wahrheitsfindung hat alles Konsequenzen, obwohl dreiviertel aller Lügen unerkannt bleiben sollen. 

In Krankenhäusern wird gelogen, an Universitäten sowie in Politik und Wirtschaft.
Was kann man eigentlich noch glauben?
Ein kirchliches Gebot sagt: Du sollst nicht lügen! Aber die Lüge ist so alt wie die Menschheit behaupten die Forscher. 

Da sind die harmlosen Lügen, die Wahrheitsschmeichler, schon milder anzusehen:
Deine Krawatte oder dein Kleid gefällt mir gut, obwohl es gar nicht der Fall ist.
Man will seinem Gegenüber schmeicheln, sich Gunst erkaufen. 

Aber die Wahrheitskiller wie Fremdgehen oder Schulden machen können eine Beziehung enorm belasten wenn nicht sogar zerstören. Sie sind ein Vertrauensbruch.
Es gibt noch andere bekannte Lügen, um noch einige aufzuzählen: 

z. B. die Geltungslüge, wie rücke ich mich in ein besseres Licht 

die Anerkennungslüge, was bin ich für ein Held 

die Überraschungslüge, bei ungeliebten Geschenken 

die Krankheitslüge, keiner weiß von meiner Krankheit, es ist meine Sache 

die Dopinglüge bei Sportlern, auch wenn es nachgewiesen ist, leugnen sie noch 

Man könnte fragen: Warum lügst du mich an?
Hast du Angst vor mir?
Sind Lügen denn notwendig oder verwerflich? 

Seit Jahrhunderten existieren Sprichwörter zum Thema Lügen.
z. B. Lügen haben kurze Beine
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht  oder
Wer sich selbst belügt lebt besser! 

Da denke ich an das Sprichwort: Ehrlich währt am längsten, so wie wir es im Kindesalter von den Eltern gelernt haben und damit kommt man ganz gut durch das Leben. 

 

Sommerferien 

Seit Jahren kursiert in den Reisekatalogen die Werbung „Urlaub auf dem Bauernhof“. Gemeint ist, dass Stadtkinder unmittelbar mit Tieren zusammen kommen und begreifen lernen, dass die Milch nicht aus der Tüte kommt. 

Zu meiner Schulzeit wurde auch der Koffer gepackt, der damals noch aus Pappe bestand, und ab ging es zur Patentante in ein anderes Dorf. 

Diese Tante, von allen im 400-Seelen-Dorf nur Tante Mariechen genannt, war die Gemeindeschwester im Ort. Sogar Briefe, nur mit diesem Namen versehen, kamen bei ihr an. Einmal in der Woche kam der Landarzt aus der Nachbargemeinde, Tante Mariechen hatte in ihrem Wohnzimmer den Schreibtisch und Wohnzimmertisch als Behandlungsraum und den Flur als Wartezimmer umfunktioniert und fertig war die Arztpraxis.
Da brachte auch mancher Dorfbewohner mal Hund oder Katze mit, wenn sie nicht so wollten wie sie sollten. Ein Landarzt hatte auch dafür Rat und Tat. 

Aber um wieder auf den Kern der Geschichte zu kommen: Tante Mariechen und ihr Mann hatten eine kleine eigene Bauernwirtschaft. Ein paar Schweine, ein Pferd auf der Koppel, zwei Milchziegen, einen Ziegenbock, Hühner, Enten, Gänse.
Der Onkel arbeitete tagsüber in der LPG als Stellmacher.
Frühmorgens brauchte man keinen Wecker. Der Hahn krähte, die Hühner gackerten und die Schweine verlangten lauthals quiekend ihr Frühstück.
Ich glaube, zwischen vier und fünf Uhr morgens begann der Arbeitstag im Haus.
Das Wasser wurde noch aus dem Brunnen im Hof heraufgeholt und die Toilette, wohl bemerkt ein Doppelsitzer mit Holzdeckel, befand sich im Ziegenstall. Also Zuschauer waren mit eingeplant. Nur nachts hatte man einen Keramiktopf mit Henkel für sich ganz allein unter dem Bett zu stehen. 

Das Lustigste war für mich, mit dem Onkel jeden Tag aufs Feld zu fahren, um frischen Klee oder Luzerne zu holen. Außer, wenn es regnete, dann wurde vom Vorrat gefüttert.
Also, wenn der Onkel Feierabend hatte, schirrte er den starken Ziegenbock vor seinen großen stabilen Handwagen, nahm die Sense auf die Schulter und los ging die Fahrt. Hinzu durfte ich im Wagen sitzen, der anfangs über das Kopfsteinpflaster holperte. Aber zurück war der Wagen voll beladen, da musste ich nebenher laufen. Der Ziegenbock kannte seine Arbeit, den Sandweg am Kiefernwald vorbei und wohl auch die Uhrzeit, wo er sich satt fressen durfte. Zu nah bin ich ihm nie gekommen. Er roch doch ziemlich streng, nichts für eine Kindernase und Hörner hatte er auch. 

Die Tante versorgte nach ihrer Gemeindeschwesternarbeit die Tiere im Hof und im Stall. Dann wurden Eier abgesucht. Die Hühner legten sie mit Vorliebe in der Scheune aufs Stroh. Allein auf den Strohballen herumzuklettern war schon ein Erlebnis.  

Die Scheune war überhaupt ein idealer Kinderspielplatz. Man konnte mit den Nachbarkindern Verstecken spielen oder auf dem Leiterwagen herumturnen und zwischen den Strohballen Wohnungen bauen. 

Aber wehe, es wurde ein Huhn oder eine Ente geschlachtet. Da gab es jedes Mal Tränen, denn das erinnerte mich immer an zu Hause und an die Kaninchenschlachterei. 

Ab und zu war auch der Ziegenbock verschwunden. Nachbarn borgten ihn sich aus. Der hat zu tun, sagte die Tante. Was ein Ziegenbock zu tun hatte, war mir lange ein Rätsel. 

Manchmal nahm mich Tante Mariechen mit, wenn sie Verbände wechseln oder Beine bewickeln musste. Oft gab es anschließend Kaffee und ein Stück Kuchen oder mal ein Bonbon und lange Gespräche. Da stand für mich fest: Wenn ich groß bin, werde ich auch mal Gemeindeschwester.
Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. 

Wenn ich heute lese: Urlaub auf dem Bauernhof, dann wünsche ich den Kindern auch diesen Spaß und schöne Erlebnisse mit den Tieren.
Das vergisst man sein ganzes Leben nicht und die Sommerferien waren wie immer viel zu schnell vorbei.  

 

Die Ängste der Deutschen 

Da fragt man sich doch: Sind die Deutschen ein Volk der Angsthasen und Pessimisten?
Eine Langzeit-Angststudie belegt: Wir haben an erster Stelle Angst vor Krieg, vor Naturkatastrophen, vor Terroranschlägen und vor realen Problemen wie steigende Lebenshaltungskosten, unbezahlbaren Mieten und steigenden Strompreisen. 

Müssen wir die Rechnung bezahlen für die Euro-Schuldenkrise? Der Gedanke daran ist schon beängstigend. 

Existenzängste, Angst vor Arbeitslosigkeit, vor unheilbaren Krankheiten, vor Epidemien oder vor einem Unfall mit Querschnittslähmung, vor Kriminalität lassen uns nicht zur Ruhe kommen.
Und man hat Angst davor, dass die Gesundheit unbezahlbar wird, dass man im Alter zum Pflegefall wird oder vereinsamt.
Auch die belasteten Nahrungsmittel machen Angst. Was kann man noch mit gutem Gewissen verzehren, wenn Biowaren nicht das sind was man erwartet. 

Ein weiteres Thema ist die Angst um das Geld auf den Sparkonten. Laut Angela Merkel sind die Spareinlagen sicher. Kann man das glauben?
Die Deutschen zweifeln es an.
 Werden die Versicherungen das halten was sie versprechen? Es wird um alles gefeilscht und gezerrt.
Die wachsende Armut im Volk ist beängstigend und die Insolvenz der Betriebe.
Fassbinders Film aus den 80ger Jahren „Angst essen Seele auf“ schürte geradezu Ängste. 

Die Ängste haben sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt.
In früheren Jahrhunderten hatte man Angst vor dem Zorn der Götter, vor Naturerscheinungen wie Blitz und Donner, dass der Himmel einstürzt und dass man von der Erdscheibe fällt. Ganz zu schweigen vor der Angst vor Pest und Cholera, einem unehelichen Kind oder als Hexe verbrannt zu werden. Jeder konnte jeden beschuldigen. 

Heute ist die Atomkraft angsteinflößend oder dass die Wirtschaft den Bach hinuntergeht. Man hat schon große Unfälle in Kernkraftwerken erlebt. 

Gabriele Baring schrieb ein Buch „Die geheimen Ängste der Deutschen“, das in großer Auflage erschien und ein Bestseller war. 

Eine neue Studie besagt, dass die Deutschen in letzter Zeit optimistischer und sicherer geworden sind. Das lässt hoffen. 

Vielleicht können wir unsere Angst verringern, wenn wir uns an anderen Ländern ein Beispiel nehmen, denn die Franzosen, Engländer und besonders die Italiener nehmen ihr Leben leichter und sind wohl dadurch glücklicher.   

 

Deutschland, deine Deutschen 

Statistische Erhebungen haben es ans Licht gebracht: Deutschland ist das beliebteste Land der Welt.
Ist das nicht erstaunlich? Warum ist das so? Was lieben wir eigentlich?
Der folgende Text soll Aufschluss darüber bringen. 

Der Durchschnittsdeutsche ist in einer Wohnsiedlung zu Hause. Er lebt gern in Deutschland, ist schollenverbunden, das Zuhause ist sein Ankerpunkt, zu dem er gern zurückkommt.  Der männliche Deutsche ist dunkelblond, hat blaue Augen und ist ca. 179 cm groß.
Um 6.23 Uhr steht er auf, putzt sich zwei Minuten die Zähne, ist trinkfest und wanderfreudig. Er besitzt ein hohes Pflichtbewusstsein. 84 % der Deutschen sind pünktlich, 60 % sind verheiratet, 37 % gehen fremd. Die deutsche Frau ist halbtags berufstätig, ein Drittel der Bevölkerung arbeitet im Büro.
Beim Tempo schlägt der Deutsche gern über die Stränge. Liegt das am Instinkt, den wir von unseren Urahnen in uns tragen? Sie bekamen ein Gefühl der Anerkennung, wenn sie auf der Jagd schnell waren. 

Es gibt in Deutschland 100.000 LKW-Fahrer, der häufigste Job im Land. Die meisten fahren einen Mittelklassewagen, der VW Golf ist das beliebteste Auto. Sein Wagen erweitert  seinen Bewegungsradius.
Vier Mal zieht der Deutsche in seinem Leben um.
Bis zur Ur- und Frühgeschichte reichen seine Spuren zurück und prägen unsere Geschichte. Gefundene Speerspitzen aus der Zeitenwende belegen, die Germanen waren Speermänner. Sie waren auch die ersten Arbeitsemigranten in Deutschland.
Arminius, der Etrusker, schlug in der Varusschlacht durch eine List die Römer.
Während der Völkerwanderung sind sie bis 7000 km gewandert. Kriege, Epidemien und Bevölkerungswachstum zogen sie in die Ferne.
Noch im 19. Jahrhundert wanderten fünf Millionen Deutsche nach Amerika aus, aus der DDR ebenfalls fünf Millionen.
Dafür kamen Türken, Italiener und Griechen in unser Land. 

An den Familiennamen kann man heute noch erkennen, aus welchen Gebieten die Vorfahren stammten. Zum Beispiel Kowalskis kamen aus dem Osten, Westphals aus dem Westen. Berufe und Orte wurden zum Familiennamen: Schneider, Bäcker, Fleischer, Nürnberger, Berliner, Merseburger usw.
Auch Eigenschaften findet man in Familiennamen wieder: Herr Frühauf, Frau Spät…
In Deutschland gibt er 803.000 Leute mit dem Namen Müller. Der Müller war eine wichtige und geschätzte Person im Dorf. Er mahlte das Mehl, die Grundlage für das Brot.  

Jetzt fragen wir: Wie fit sind die Deutschen?
Die 206 Knochen im Körper werden von 637 Muskeln gesteuert. Mit seiner körperlichen Größe ist er 13 cm größer als seine Ahnen. Heute sind die Deutschen das körperlich größte Volk der Erde.
Der Steinzeitmensch war fit, hatte am Ende seines Lebens noch Zähne.
Die Industrialisierung brachte keine körperliche Entlastung für die Menschen.
Er aß zu viel Zucker, die Zähne fielen aus, er hatte Gelenkverschleiß durch monotone, einseitige Arbeit, die Knochen wurden brüchig, das Herz und das Gedächtnis wurden in Mitleidenschaft gezogen und der Bewegungsmangel hielt Einzug. Das moderne Straßensystem förderte die Faulheit, denn jeder Punkt ist mit dem Auto erreichbar.
Sechs Monate seines Lebens steht der Deutsche im Stau, Prestige, Stolz und geborgene Momente schotten ihn von anderen ab.
9,8 Autos fährt er durchschnittlich im Leben, gibt dafür ca. 29.000 Euro aus. Der VW Käfer wurde 23 Millionen Mal verkauft und ist damit das meistverkaufteste Auto der Welt.
Durch die Gurtpflicht sank die Zahl der Verkehrstoten, mit 21 macht er seinen Führerschein. Ist er Familienvater zählt der Stauraum des Autos und sein Lebensstil wird bescheidener.
Das Idyll fordert sein Recht, da wird er aktiv, mag keine Ruhestörung. 

Wir fragen uns: War es früher leiser oder nehmen wir Geräusche nur anders wahr?
Unsere eigenen Geräusche stören uns am wenigsten. Heute klingeln Handys, stören uns Autohupen und Verkehrslärm.
In der Evolution haben wir solche Geräusche erst kennen gelernt. Alarmgeräusche waren dazu da, das Leben zu retten. Andererseits gibt es lange Phasen der Ruhe. 

Gab es früher wirklich die stille Zeit?
Schmiede arbeiteten ohne Lärmschutz. Antriebsräder, Fallhämmer schlugen Eisen auf Eisen, 10.000 Mal am Tag bis zu 140 Dezibel. Das ist so laut wie ein startender Düsenjet. Stanzen, Pressen, Gesenkschmieden und die Schwerindustrie hielten Einzug. Lärm gab es schon immer. Man denke nur an die Wagenräder mit Eisenreifen. 

Romantiker weckten die Sehnsucht nach einer heilen Welt. Dichter und Maler zeigten die Liebe zur Natur.
Aber wir fürchten auch die Natur. Bei Unwettern, Überschwemmungen, Tornados geraten wir an die Grenzen. Das Wetter hat unsere Geschichte gemacht, im Guten wie im Bösen. Schwankungen in der Temperatur und des Niederschlags gab es zu allen Zeiten. Dürrezeiten zwangen die Menschen, ihren Wohnort zu verlassen. Dazu kamen Kriege und Epidemien wie die Pest, Hungersnöte und andere Krisen. Alles wurde vom instabilen Wetter begleitet. Noch heute hängt alles vom Wetter ab. Deshalb wird  seit 150 Jahren ein immenser Aufwand betrieben, das Wetter vorherzusagen.  

Die Deutschen haben die meiste Angst vor Naturkatastrophen. Alles was uns wichtig ist, würde zerstört werden. Im Nordosten, genau in Zinnowitz, gibt es den meisten Sonnenschein in Deutschland. 

In keinem Land der Erde gibt es ein vergleichbares Wort wie Heimat. Hier fühlen wir uns wohl und finden alles da, was wir zum Glücklichsein brauchen: Familie, Freunde, Beruf, Hobbys … 

Das Ich-komme-nach-Hause-Gefühl ist unersetzlich.  

 

Deutsche Sprache – schwere Sprache 

Das Kind sagt zur Mutter: „Mutti, da steht eine Wiege!“ 

Die Mutter berichtigt: „Das heißt nicht Wiege, das heißt Waage.“ 

Das Kind: „Darf ich mich mal wagen?“ 

Die Mutter: „Das heißt wiegen.“ 

Das Kind: „Schön, jetzt habe ich mich gewiegt.“ 

Die Mutter: „Das heißt gewogen.“ 

Das Kind: „Mutti, willst du dich auch mal wogen?“ 

Die Mutter: „Nun heißt es wieder wiegen.“ 

Das Kind: „Ha, ha, da habe ich doch Recht, es ist doch eine Wiege.“ 

 

Weihnachten 1949 

Wie es aussah, würde es zu Weihnachten nicht einmal ein klitzekleines Geschenk geben. Mit großen Augen sahen die jüngeren Geschwister auf Reni, die große Schwester, als sie ihnen diese Tatsache begreiflich zu machen versuchte.
„Nicht mal einen Weihnachtsbaum?“ Reni zog die Schultern hoch. Sie wusste es auch nicht. 

Vor einem viertel Jahr war der Vater verstorben. Krank und gebrechlich war er aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause gekommen. Es grenzte schon an ein Wunder, dass er die Familie nach der Flucht aus Königsberg in Loissin wiedergefunden hatte.
Fast ein Jahr war er noch regelmäßig seiner Arbeit im Gemeindebüro nachgegangen und hatte Geld verdient. Aber Unglück schläft ja bekanntlich nicht und es stellte sich heraus, dass er an Tbc erkrankt war. Von Tag zu Tag wurde er schwächer bis er gar nicht mehr aufstehen konnte.
Als die Mutter sich mit derselben Krankheit angesteckt hatte, war Reni gerade 14 Jahre alt. Nun musste sie für die Mutter einspringen: Wäsche, Einkauf, Haushalt und die Schule lasteten jetzt auf ihren Schultern.  

Täglich war die Gemeindeschwester zum Vater  gekommen und hatte ihn mit Medikamenten versorgt, die der Doktor verschrieben hatte. Aber es half nichts mehr.
Dann, eines Tages, als Reni aus der Schule kam, war ein Auflauf vor ihrer  Wohnungstür. Was war denn nur passiert?
Die Mutter lag im Bett und weinte und in der Kammer brannten zwei Kerzen und der Vater war aufgebahrt. 

In dem kleinen Ort nahmen die Nachbarn Anteil am Los der anderen.
Eine Bekannte der Familie betreute in den ersten Tagen die jüngeren Geschwister. Zur Beerdigung konnte sich die Mutter kaum auf den Beinen halten und Reni und ihr Onkel trugen sie fast zur Tür hinaus. 

Der Vater hatte Reni in einer Stunde, in der es ihm etwas besser ging, zu sich gerufen und ihr gesagt, dass er in seinem Anzug in der Innentasche sein gespartes Geld verborgen hatte. Einer Sparkasse hatte er nicht mehr vertraut. 400,-- Mark wären es. Davon sollte sich die Familie in der ersten Zeit bis es Halbwaisen- und Witwenrente geben würde, über Wasser halten, wenn es mit ihm zu Ende ging. 

Viele Besucher waren während der Krankheit der Eltern bei ihnen ein- und ausgegangen und als der Vater starb, war keine Brieftasche und kein Geld vorhanden. Das war hart! 

Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht vom verschwundenen Geld  durch den Ort.
Wer konnte das Geld genommen haben? Wem würde man so etwas zutrauen? Vielleicht war es nur verlegt? 

Wieder sprangen die Nachbarn der Familie ein. Geld konnten sie nicht geben, sie hatten selber nicht viel. Mal kochte die eine mal die andere Nachbarin  Mittagessen für die Kinder. Das half schon.
Gelbe Erbsen hatte die Mutter gehortet, aber die mochten die Kinder nicht, weil sie ein Loch hatten, in dem ein schwarzer Käfer saß.
Reni wusste, wenn man die Erbsen überbrühte, schwammen die Käfer oben drauf und man konnte die Erbsen noch kochen und essen.  

Der Bäcker schenkte ihnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit öfter mal ein Stück Brot. Herumsprechen durfte sich das nicht, es gab das Brot nur auf Brotmarken.
Andere brachten mal eine spitze Tüte Zucker oder ein Glas selbst gekochte  Marmelade, und ein Bauer aus dem Ort hatte manchmal eine Kanne Milch mit dicker Sahne obendrauf übrig. Oder es lag mal ein Stück Speck auf dem Küchentisch. Auch Wurstbrühe konnten die Kinder in einer Kanne bei demjenigen holen, der gerade geschlachtet hatte. Das war dann wie ein Festtag.  

Die Zeit verging. Die Mutter kam kurz vor Weihnachten aus der Lungenheilstätte nach Hause. Sie war noch schwach.
Aber sie konnte schon wieder stricken.
Abends, wenn die jüngeren Geschwister im Bett waren, räufelte sie mit Reni alte Pullover auf, um Mützen und Schals für die Kinder zu stricken. Darüber würden sie sich zu Weihnachten freuen. 

Und nun kam auch die Gemeindeschwester wieder ins Haus, dieses Mal zur Mutter.  

Die Not und Armut der Familie musste sie wohl so berührt haben, das sie der Mutter eines Tages unter Tränen gestand, dass sie in einer schwachen Stunde das Geld in Vaters Anzug gefunden und eingesteckt hatte. 

Die Mutter musste ihr schwören, keiner Menschenseele im Dorf etwas von der Tat zu erzählen, sonst wäre sie erledigt gewesen beruflich und privat und müsste womöglich noch ins Gefängnis.
Natürlich schwor die Mutter, keinem etwas davon zu sagen. Sie war ja heilfroh, dass die Sache so ausgegangen war, wenn es das Geld auch nur in Raten zurück gab. 

Wieder ging es wie ein Lauffeuer durchs Dorf: Das Geld ist wieder da. Es hat sich angefunden. Man spürte die Erleichterung. Welche Ausrede hatte man sich ausgedacht? 

Nun konnte die Mutter beim Kaufmann die Schulden bezahlen. Er hatte längst nicht alles von den Lebensmittelmarken Gekaufte angeschrieben.
Und das Schönste war, jetzt konnte sie ihren Kindern sogar etwas Süßes auf den Weihnachtsteller legen und einen kleinen Tannenbaum gab es auch. 

Als Reni längst erwachsen war und nicht mehr im Ort wohnte, hatte die Mutter das Geheimnis um das gestohlene Geld gelüftet.
Aber da lebte die Gemeindeschwester schon lange nicht mehr. 

 

Eine Inflationsgeschichte 

Es gibt in der Familie Geschichten, die einfach nicht verloren gehen, auch wenn sie fast 100 Jahre zurück liegen.  

Hulda, die Drittälteste von Robert und Emilie hatte in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts Fritz Meier geheiratet. Zwar war die Verbindung nicht ganz standesgemäß, wie ihr Vater fand, und mit dem Nachnamen war man auch nicht so zufrieden. Aber immerhin war der Ehemann eine „gute Partie“. Als Droschkenkutscher hatte er einige Pferde und Kutschen zu laufen, und das war ja schon etwas. Hulda hätte als Tochter des Spinnereimeisters einen komfortableren Partner verdient, man hatte Dünkel. 

Aber Fritz Meier hatte Geld angespart und wollte sich davon ein Haus kaufen. Ein vierstöckiges Stadthaus an einer belebten Straße mit Wassertoiletten eine halbe Treppe tiefer.
Nur einige Tausender fehlten noch.
Ob sein Schwiegervater Robert ihm das restliche Geld leihen konnte?
Fritz zog seinen besten Anzug, Hut, Mantel und Gamaschen an und machte sich mit seinem Stockschirm auf den Weg zu  Huldas Eltern. Bei diesem 6-Augen-Gespräch gab er mit seiner breiten sächsischen Aussprache alles, was er an Liebenswürdigkeit aufbieten konnte. 

Und sein Vorsprechen hatte Erfolg. Alles Für und Wider wurde durchgesprochen und man kam zu dem Ergebnis, dass er als Hausbesitzer eine bessere Figur machen würde als bisher, zumal er Monat für Monat von acht Mietparteien Einnahmen kassieren konnte.
Man wusste ja nicht wie die Zeiten werden, aber feste Einnahmen waren immer etwas Solides.
Ein Schuldschein wurde ausgestellt und ein Zeitraum vereinbart, wann das geborgte Geld zurückzuzahlen war. 

Fritz Meier kaufte das Stadthaus, seine junge Familie zog ein – in den 1. Stock, versteht sich – und die Taler wurden weiter gespart. 

Aber Unglück schläft ja bekanntlich nicht. Es kam die Inflation und das Volk wurde um das Geld und die Spargroschen betrogen. Es war einfach nichts mehr wert. Man rechnete mit Millionen- und Milliardenbeträgen, trug das Geld in großen Taschen zum Kaufmann.
Und jetzt nutzte der clevere Fuhrunternehmer die Zeit und die Stunde, um das geliehene Geld zurückzugeben.
Er steckte sich ein paar große aber fast wertlose Geldscheine in die Tasche und beglich mit diesem Inflationsgeld seine Schulden. Auch forderte er seinen Schuldschein zurück, er hatte ja nun bezahlt. Schwiegervater Robert muss so überrumpelt gewesen sein, dass er das wertlose Geld trotzdem annahm. 

Diese Gaunerei machte die Runde. Zuerst wusste nur die Familie davon, später auch die Hausbewohner, die Enkel und Urenkel.
Er war und blieb auch nach fast 100 Jahren der schwarze Fleck der Verwandtschaft. 
Man kann diese Geschichte einfach nicht vergessen.au



Kinderlogik 

Meine Hortkinder kamen wie immer lebhaft diskutierend aus dem Unterricht.
Dieses Mal ging es um Gott.
Melanie, die wortgewandteste aus der 3. Klasse, baute sich vor mir auf und zog mich mit in ihre Diskussionsrunde. 

„Nun sagen Sie doch mal ehrlich, gibt es einen Gott oder gibt es keinen? Wie sollen denn die Erde, die Menschen und die Sterne entstanden sein, wenn es nicht ein höheres Wesen geben würde?“ Melanie ging gern einer Sache auf den Grund. 

Ich rettete mich in eine Ausflucht: „Jeder Mensch hat das Recht zu glauben oder nicht zu glauben. Es kommt auf die Überzeugung jedes Einzelnen an.“
Sie merkten, dass ich mich raushalten wollte. 

Meine Hortgruppe hatte sich im Nu in zwei Lager gespalten: Einmal die Kinder, die im Religionsunterricht von Gott hörten und dann in die Kinder, die lieber in der Zeit zum Basteln gingen.  

Fragen und Antworten flogen hin und her. 

Axel, aus dem Lager der Religionskinder sagte seine Meinung: „Ich finde es gut, wenn man später – wenn man gestorben ist – in den Himmel kommt und dort seine Freunde und Eltern wieder sehen kann.“ 

„Wie soll denn das funktionieren? Da wäre es im Himmel ganz schön voll „ konterte die Gegenseite. 

„Na, und die, die auf der Erde Verbrecher waren, kommen die auch in den Himmel?“ wollte Anja wissen. „ Da muss man ja als Engel Angst haben.“ 

„Nein, die nicht! Die müssen draußen bleiben“ mischte sich Anton ein. 

Und Steffen, der Spaßmacher der Gruppe, gab zum Besten: „Wie soll man denn dort oben herumschweben? Stellt euch mal Konrad im weißen Kleid mit Flügel auf dem Rücken vor.“ Und er schwebte flatternd vor der Hortgruppe umher. Alle lachten. 

Aber Anton wusste Rat. „Wisst ihr, jetzt reicht`s. Wenn wir uns nicht einig werden können dann stimmen mir eben ab ob es Gott gibt oder nicht.“ 

Und das taten sie dann auch. 

Die Angelegenheit war zwar nicht geklärt, aber sie waren zu einem Abschluss gekommen. Sie schienen die Meinung des anderen zu respektieren. 

Und nun konnte man in Ruhe und entspannt zum Mittagessen übergehen.   

 

Das verrückte Jahr 2012 

Am Ende eines Jahres zieht man gewöhnlich Bilanz. Deshalb die Feststellung, 2012 war ein ganz besonders turbulentes Jahr.
Schwer geschüttelt durch die europäische Staatsschuldenkrise, die Finanzkrise, die seit 2008 schwelt, die Ausschreitungen ohne Ende wegen Sparbeschlüssen in Griechenland und den Rettungsschirm, hangelten wir uns von Monat zu Monat. Immer den Bürgerkrieg in Syrien im Hintergrund, der von Präsident Assad blutig niedergeschlagen wird und die Unruhen im Gazastreifen durch Israel. 

Aber auch die Natur spielte verrückt. Da gab es die Kältewelle im Januar, die über 600 Todesopfer in Europa forderte und unser Land unter Schnee- und Eismassen erstarren ließ. Selbst das haben wir überstanden. 

Dunkle Wolken zogen auf am Polithimmel mit der Wulff-Affäre und erhitzten die Gemüter.
Kaum hatte sich mit der Neuwahl von Gauck das Thema etwas beruhigt, richtete sich die Aufmerksamkeit auf eine kleine italienische Insel. Der Luxusliner Costa Concordia mit 3000 Passagieren an Bord lief auf Grund auf, legte sich auf die Seite und forderte das Leben von 32 Menschen. 

Der nächste Skandal drehte sich um minderwertige Brustimplatate bei 500.000 Frauen. Sie gingen auf die Straße und forderten Wiedergutmachung. Ob es etwas genützt hat?  

Dass die Queen of England ihr 60jähriges Thronjubiläum feierte und eine Sonde nach neun Monaten Flugzeit auf dem Roten Planeten landete und spektakuläre Bilder zur Ende sendete, wurde noch von einem Ereignis des Jahres getoppt: 

Der Deutsche Extremsportler Felix Baumgartner sprang als erster Mensch aus einer Höhe von 39 km mit einem Fallschirm ab und erreichte im freien Fall 1342 km/h, wobei er die Schallmauer durchbrach.
Dass dieser Spaß nur 36 Millionen Euro kostete, spielte wohl in diesem Krisenjahr die kleinere Rolle. Sensationen gehen über alles! 

Im November blickte die Welt nach Amerika. Barrak Obama wurde zum 2. Mal als Präsident der USA gewählt. Ob es der Weltpolitik nützen wird bleibt abzuwarten. 

Aber auch mehrere Amokläufe mit vielen Toten erschütterten die Welt. Es wird nicht viel helfen, wenn die Lehrer in den Schulen bewaffnet werden.  

Aber es gab auch Höhepunkte im Jahr 2012.
Ich denke an die Rentenerhöhung, an die Olympischen Spiele in London und an die Medaillen, die unsere Sportler mit nach Hause nehmen konnten. 

Ein ganz großer Höhepunkt in diesem Jahr war die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union. Fast 70 Jahre Frieden. Das soll uns erst mal einer nachmachen. 

Die Medien feierten 60 Jahre Tagesschau,  öhepunkund dann hatten wir nach dem durchwachsenen Sommer einen wunderschönen warmen Herbst. 

Jeder einzelne hat in diesem Jahr gute und schlechte Zeiten erlebt.
Manchmal hätte man die Zeit anhalten oder vordrehen wollen. 

Jahresende, Verabschiedung von Gelungenem und Vergangenem. Es gibt immer wieder ein neues Jahr mit guten Vorsätzen und hoffentlich dieses Mal ohne Weltuntergangsstimmung. 

Na, dann! Auf ein Neues!  

 

TEE – Gesundheit für Körper und Seele

Viele Legenden ranken sich um die Herkunft  und die Wirkung des Tees.
Man kennt ihn schon seit 5000 Jahren.
So soll der chinesische Kaiser Shen-Nung in seinem Palastgarten spazieren gegangen sein. Unter einem Baum kochte ein Kessel Wasser. Ein paar Blätter sollen in den Topf gefallen sein und einen aromatischen, würzigen Duft verbreitet haben. Davon soll der Kaiser getrunken haben und er soll sich erfrischt und wohl gefühlt haben. 

Eine andere Sage erzählt, dass ein indischer Königssohn während einer Meditation eingeschlafen sein soll. Aus Wut darüber soll er sich seine Augenlider ausgerissen  und an die Erde geworfen haben. Dort, wo die Lider am Boden lagen, wuchs bald ein Strauch mit grünen Blättern. Er kostete die Blätter und war hellwach.
Noch heute hat man in Japan ein und dasselbe Schriftzeichen für Tee und Augenlid. 

Aber China gab seine Geheimnisse nicht so leicht frei. Es baute eine große Mauer um das Land, um die Seide, das Porzellan und den Tee vor Fremdzugriffen zu schützen.
Und trotzdem gelangte der Tee nach Japan und von dort nach Indien. Später verbreitete sich das belebende Getränk über Holland auf die gesamte Welt. Hamburg ist der größte Umschlagplatz für Tees aus allen Ländern.
Es gibt bis heute ganze Teetrinkerländer, die die asiatischen Teesorten zu schätzen wissen. In Deutschland hielt der Schwarze Tee im 17. Jahrhundert seinen Einzug. 

Aber auch der Kräutertee wusste man zu schätzen. Man sammelte von Wald- und Wiesenpflanzen Blätter, Früchte, Blattknospen, Wurzeln oder Rinde und braute sich davon ein Getränk. Auf die Tees der Kräuterweiblein vergangener Zeiten besinnt man sich heute noch. 

Rituale des Teetrinkens und der Zubereitung verbreiteten sich zum Beispiel in Russland. Katharina die Große soll eine begeisterte Teetrinkerin gewesen sein. Schon 1730 wurde der Samowar erwähnt. Es war eine Teemaschine, die mit Tannenzapfen beheizt wurde. Wichtig ist der Sud. Eine bestimmte Menge Tee wird in eine kleine Kanne gegeben und mit kochendem Wasser aus dem Samowar aufgefüllt. So wurde er in den Salons serviert.
Dazu nahm man keinen Zucker zum Süßen sondern einen Fruchtgelee (Warenje).
Dieser bestand aus Preiselbeeren, Himbeeren, Walnüssen und getrockneten Tomaten. Dazu wurde Gebäck gereicht je nach russischer Region.
Tee ist in Russland das Nationalgetränk. Wichtig ist die Plauderei beim Tee. 

Bei uns in Deutschland trinkt man in Friesland besonders viel grünen oder schwarzen Tee. Der Duft, das Aroma und die Wärme helfen dem Körper gesund zu bleiben. 

Experten gehen davon aus, dass Tee gut gegen Krebs ist, gegen Mikroben, gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und gut für Haut und Zähne.  

Eine sensationelle Erfindung gelang im 19. Jahrhundert. Der Teebeutel war erfunden, zuerst aus Mull jetzt aus Papier. Nun konnte der Tee proportioniert, gemischt und abgepackt werden. Er wurde zum Volksgetränk, nicht ausschließlich, denn Kaffee blieb weiterhin beliebt.  

Im Dresdener Stadtmuseum kann man Einblick nehmen in die Teezeit durch die Jahrhunderte.
Es war ein schnelles Getränk für zu Hause, auf Reisen oder im Büro. 40 % der Teetrinker bedienen sich mit dem Teebeutel.
Heute nimmt man sogar zwischen Kairo und Kapstadt den Tee aus Teebeuteln.
Tee- und Kaffeehäuser gibt es zahlreiche in den Städten, wobei die Touristen in warmen Ländern lieber kalte Getränke zu sich nehmen.  

Einst brachten die Beduinen den schwarzen Tee in die Wüste. Er wird heiß und süß getrunken.
Heute ist Kenia der größte Tee-Exporteur der Welt. In Alusäcken wird der Tee transportiert, damit er nicht feucht wird. Denn feuchter Tee wäre unbrauchbar.
Das Teeernten ist mühsam. Mit einem Korb auf dem Rücken pflücken die Frauen nur die oberen Spitzen der Teepflanzen. Sie haben das beste Aroma. 40 kg schafft eine Pflückerin pro Tag.
Die Blätter werden gesammelt, kommen in eine Fabrik, werden getrocknet, gepresst und verpackt.
Der Regen am Nachmittag düngt die Felder und lässt die Teepflanzen reifen. 

Der Roibustee kam ursprünglich aus Amerika. Heute beziehen wir ihn aus Südafrika.
Seinen Namen erhielt er wegen seiner Farbe. Er ist so braun wie eine Mönchskutte, entgiftet den Körper und enthält viele Vitamine. In der Tasse färbt er sich rot. 

Kenner wissen den Arjuweda- und Heilkräutertee zu schätzen. 

Es werden uns immer wieder neue Teearten und Mischungen in den Spezialgeschäften und Supermärkten angeboten, so dass wir noch lange unsere Freude am Teetrinken haben werden.  

 

Ecki, der Shoutingstar

Neulich lief eine Sendung im Fernsehen mit einem Hundeprofi, der den seit ca. einem Jahr freilaufenden Labrador-Rüden bei Eckartshausen einfangen sollte. 

Weil er einem kleinen Mädchen sehr nahe gekommen war, sollte er sogar abgeschossen werden.
Dabei beißt er nicht, wildert nicht und hält sich stets auf Distanz zu Menschen. Ein riesiges Terrain ist sein Revier. Sein Futter holt er sich von verschiedenen Orten, er ist ein wohlgenährter, stattlicher Kerl.
Aber weil die öffentliche Ordnung auf alle Fälle gewahrt werden muss, ist man dem Stromer auf den Fersen.
Er ist so schlau, dass er so viel Abstand zu den Menschen hält, man kann ihm nicht beikommen. 

Nun kommt der Hundeprofi ins Spiel. Der muss es doch wissen, wie man einen freilaufenden Hund einfangen kann.
Anlocken will er ihn mit Futter und einem Hundeweibchen. Sobald er sich diesem nähert, schnappt die Falle zu. Aber der Hund geht nicht in die Falle, er wartet ab, in gebührender Entfernung. Nur seinen gelbbraunen Kopf sieht man hinter dem Grashügel.
Er lässt sich einfach nicht ein, wenn Menschen in der Nähe sind. Dabei hat er mit den Hunden des Dorfes gespielt und schon einige Dorfschönheiten geschwängert. 

Eine Frau aus dem Dorf füttert ihn außerhalb ihres Grundstückes, das ein wenig abgelegen ist. Hat sie seine Schüssel gefüllt, klopft sie ganz laut mit einem Kochlöffel auf den Schüsselrand. Das ist sein Signal. Trotzdem wird er nicht zutraulich. Er hat wohl zu schlechte Erfahrungen mit den Menschen gemacht. Einige Dorfbewohner haben schon Steine nach ihm geworfen, aber die erreichen ihn nicht.
Kommt er mal nicht zum Futterplatz, labt sich die Hauskatze am Hundefutter. Er schläft im Busch und in den Hecken. 

Einen ganzen Tag beobachtet und lockt ihn der Hundeprofi. Aber es ist nichts zu machen. Der Hund ist so gescheit und clever, dass er alle Fallen umgeht. 

Da sage mal einer, dass Hunde nicht schlau sind. 

Die Welt ist voller Geschichten, man muss sie bloß finden. 

 

Einladung in den Bundestag 

Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal meinen Fuß in den Plenarsaal des Bundestages setzen würde.
Hineingesehen habe ich aus der Glaskuppel schon vor Jahren, aber wenn man dort sitzt, wo die Geschicke und Gesetze des Volkes beschlossen und verabschiedet werden, ist es doch anders. 

Angefangen hatte alles mit einer Einladung der SPD-Abgeordneten Sonja Steffen aus Stralsund.
Auf der Jahreshauptversammlung der Senioren-Akademie ging eine Liste durch die Reihen: Einladung in den Bundestag, Anfang März mit dem Bus nach Berlin. Es war klar, dass es für politisch Interessierte zwei spannende Tage werden.
Nach Anreise und Mittagessen im Alt-Berliner-Wirtshaus fuhren wir zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas. 500 schwarze, unterschiedlich große bis fünf Meter hohe Granitstelen stehen wie Mahnmale auf einem Platz, der in früheren Zeiten ein Garten war, also nicht geschichtsbelastet.
In kleinen Gruppen gingen wir durch die unterirdischen Räume. Wir erfuhren von den Ausschreibungen für dieses Mahnmal. Außer den Stelen war eine liegende überdimensionale Metallplatte mit den eingravierten Namen der ermordeten Juden  in die engste Auswahl gekommen. Aber Helmut Kohl, der damalige Bundeskanzler, war dagegen. Sein Argument, man läuft nicht auf einer Grabplatte herum, und das würde passieren, wenn man nach den Namen sucht, wurde akzeptiert und man entschied sich für die Granitblöcke ohne Beschriftung.
Beim Rundgang durch den Raum der Dimensionen stehen wir sechs großformatigen  Portraits gegenüber, die stellvertretend für die 6 Millionen Opfer der Terrorpolitik dort aufgestellt wurden. Aber auch Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Notizen kann man lesen.
Im Raum der Familie werden 15 jüdische Familien in ihrer Lebenswelt vorgestellt.
Der Raum der Namen wird ständig erweitert durch Namen und Kurzbiografien, ebenso der Raum der Orte.
Dieser Ort des Gedenkens erschüttert die Besucher und ich bin froh, wieder am Tageslicht zu sein. 

Viele Geschichtsdaten stürmten auf uns ein bei der Führung durch die Willy-Brandt-Stiftung. Man bezeichnete ihn als den Vordenker der deutschen Einheit und er konnte diesen Tag noch erleben. 

Die anschließende Stadtrundfahrt durch die Bundeshauptstadt war orientiert an vielen politischen Gesichtspunkten. Der Bus schlängelte sich oft im Schneckentempo an den vielen Baustellen vorbei.
Die unzähligen Botschaften der einzelnen Länder sind eine Stadt in der Stadt.
Wir feierten Wiedersehen mit den Prachtstraßen Unter den Linden, dem Tiergarten, den vielen Alleen und den bekannten Bauwerken. Das Brandenburger Tor, der Fernsehturm mit dem Spiegelkreuz auf seinem runden Bauch und die Goldelse sind nur einige Höhepunkte. 

Nach der Stadtrundfahrt und dem leckeren Abendessen brachte uns der Bus zum Reichstagsgebäude. Es standen so spät am Abend noch Schlangen davor wegen des Sicherheitschecks wie auf dem Flughafen. Viele Beamte in Uniform sorgen nach dem 11. September für die Sicherheit der Besucher. 

Nachdem wir in den Besucherrängen des Plenarsaales Platz genommen hatten, erwartete uns ein Vortrag über die Bedeutung und die Geschichte des Hauses.
Ausschreibungen um die Gestalt der Kuppel, der total neue Innenausbau, die Anordnung der Sitze der einzelnen Parteien, die Bestuhlung, Telefone am Tisch, der Platz der vier Stenografen, die 400 Silben in der Minute schreiben können und jeden einzelnen Abgeordneten namentlich kennen müssen und der erhobene Arbeitsplatz des Bundestags-Präsidenten, alles interessierte uns.
Auf Angela Merkels Stuhl mit der erhöhten Rückenlehne darf sich kein anderer setzen, auch nicht bei ihrer Abwesenheit ihr Stellvertreter. 

Eine große Uhr mit Digitalanzeige zeigt an, wie lange ein Abgeordneter sprechen darf. Er bekommt ein Signal, seinen Vortrag zu beenden und wird dann abgeschaltet.  

Der riesige Adler (die Henne) im Plenarsaal wiegt Tonnen und ist so groß wie der Grundriss einer 4-Raum-Wohnung. Er durfte nach langem Hin und Her wieder als Symbol im Reichstag aufgehängt werden.
Bei Sitzungen haben Gäste auf den Besucherrängen kein Mitsprache- oder Fragerecht, dürfen nicht applaudieren oder ihren Unmut äußern. Alles ist protokollarisch vorgeschrieben. 

Der Blick geht in die Glaskuppel, die wir wegen Rutschgefahr (Kondenswasser durch die Entlüftung) leider nicht besuchen durften. Ein Blick auf das Berlin bei Nacht hätte sich sicher gelohnt. 

Todmüde checkten wir gegen 21.30 Uhr im größten Hotel Deutschlands – dem „Estrel“ – ein und verteilten uns auf die exquisiten Zimmer.
Ein erlebnisreicher Tag klang aus. Uns konnten nur noch eine Dusche und das Bett erfreuen. 

Der zweite Tag begann mit einem reichhaltigen Frühstück am Büfett des Wintergartens des Hauses. Zwischen den großen Bäumen in diesem Raum, die abends beleuchtet werden und den Glasscheiben kamen wir uns wie auf einem Schiff vor.
Durch die langen Gänge und Flure schwang die Sorge mit, hoffentlich finde ich das Zimmer wieder. Aber es klappte alles. Es gibt ja keine Schlüssel mehr für die Hotelzimmer, nur Chipkarten, die man durch einen Schlitz ziehen muss. Dann kann man die Tür öffnen. 

Als erster Tagesordnungspunkt stand eine Führung durch die ehemalige Stasi-Zentrale in der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg  auf dem Programm. Das 22 ha große Gelände mit den vielen mehrstöckigen Gebäuden wie Arztpraxen, Physiotherapien, Wäscherei, Friseur und Kaufhalle ist beeindruckend. 

Haus 1, das wir besichtigten, war der Sitz von Erich Mielke und seinen engsten Mitarbeitern. Man steht in seinem Arbeitszimmer mit blauen gepolsterten Stühlen und einem roten Teppich, geht durch die Konferenzräume mit Akten- und Panzerschränken.
Aber auch das Wissen von 111 km Akten, 1,7 Millionen Fotos und 28.000 Tonträgern bringt uns das Jahr 1989 in Erinnerung.
Wir haben diese Zeit miterlebt.
Am 15. Januar 1990 drangen Demonstranten in die Stasi-Zentrale ein und besetzten die Dienststellen der Stasimitarbeiter.
Der Versuch, Stasi-Akten zu vernichten, wurde durch die Versiegelung der Räume gestoppt.
Viele Klassen und Jugendgruppen gehen mit uns durch die Räume, fragen und sind interessiert. 

Danach stand die zweite Berlinrundfahrt auf dem Programm. Das alte und das neue Berlin zog am Busfenster vorüber. Der Reiseleiter unterbreitete genau wie am Vortag all sein Wissen über die Hauptstadt. 

Nach Lasagne und Wackelpudding beim Italiener checkten wir im Paul-Löbe-Haus ein. Ein Glaspalast mit Arbeitsräumen für die einzelnen Fraktionen des Bundestages. Hier galten wieder die Sicherheitsbestimmungen des Reichstages, weil Menschenmassen zusammen kommen. Paul Löbe war ein Mitbegründer der SPD.
Hier trafen wir uns in einem Konferenzraum mit der Abgeordneten Sonja Steffen zu einer Diskussionsrunde mit anschließendem Fototermin.
Das gemeinsame Foto mit allen Reiseteilnehmern wird uns zugeschickt. 

Da die Besichtigung der Glaskuppel im Reichstagsgebäude ausfiel, konnten wir gegen 16 Uhr die Heimreise antreten. 

Ein wunderschöner Sonnenuntergang begleitete uns auf den letzten Kilometern nach Greifswald. Zwei erlebnisreiche Tage gingen zu Ende.
Unser Geschichtswissen war aufgefrischt und die Wahl im September vorbereitet. 

 

Babykonzert

Man kann nur staunen, mit welchen Tricks die Theater- oder Opernhäuser ihre Gäste anlocken.
Zur Zeit sind Babykonzerte im Trend. Hier erleben bis zu 150 Babys im Alter bis zu 12 Monaten in der Oper von Berlin, in Köln, Düsseldorf oder Niederkassel Konzerte von Mozart, Musikstücke von Vivaldi, Schubert und Offenbach.
Die Konzerte sind ausverkauft bis zur letzten Krabbeldecke. Und für Kinderwagenstellplätze und Wickeltische ist auch gesorgt. 

Auf dem Arm der Mutter, dem Schoß des Vaters oder eben auf der Krabbeldecke erleben die Jüngsten ihr erstes Konzert. Man sieht sie im Fernsehen ruhig und ausgeglichen mit Schnuller und Nuckelflasche den klassischen Klängen lauschen. Vielleicht kennen sie das eine oder andere Stück bereits aus dem Elternhaus. 

Viele Eltern nehmen lange Anfahrtswege in Kauf, um ihrem Liebling diesen Kunstgenuss zu ermöglichen. 

Wenn die Kinder älter sind, werden sie kaum noch diese Musik hören, es sei denn, sie spielen ein Musikinstrument. Sonst ist andere Musik angesagt, ohrenbetäubend laut, so dass die Ohrenärzte um das Gehör der Jugendlichen bangen. 

Der Versuch, ein Kleinkind mit lauter Rock- und Popmusik zu begeistern, ging schief.
Bei den ersten Tönen hielt es sich vor Schreck die Ohren zu. 

Man hört immer öfter: Musik macht das Leben besser. Sie wird ja schon lange zur Bewegung, zur Schmerzbewältigung und bei Depressionen eingesetzt. 

Es kommt eben immer darauf an, gute Einfälle zur Vermarktung zu haben.   

 

Meine ersten eigenen Bücher

Zu meinen ersten Kinderbüchern gehörten Das Märchenschiff und ein kleines Büchlein mit Geschichten über Heinzelmännchen.
Besonders die bunten Bilder im Buch waren anziehend und Phantasie anregend.
Da sah man die kleinen Kerlchen mit ihrem roten Wams und Zipfelmützen bei der Arbeit. Mal waren sie Bäcker, mal Schneider, mal Schuhmacher oder Müller. Und das Beste war, am nächsten Morgen war die Arbeit getan und die Heinzelmännchen verschwunden. Das sagten die Bilder aus.
Aber die Schrift! Es war in einer altmodischen, verschnörkelten Schrift geschrieben, die mir als Leseanfängerin große Schwierigkeiten bereitete. Mühsam erkämpfte ich mir Wort um Wort.
Für einen Satz brauchte ich bestimmt mehrere Minuten.
Trotzdem hatte das Buch meine Freude am Lesen entfacht.
Nur das letzte Bild im Buch konnte ich nicht leiden. Da stand ich auf Kriegsfuß mit der neugierigen Frau des Schneiders. Sie wollte die Heinzelmännchen sehen, legte sich auf die Lauer und streute Erbsen aus. Auf diesen rutschten die kleinen Kerlchen aus und purzelten durcheinander.
Das fand ich sehr gemein und die Heinzelmännchen in meiner Phantasie sicher auch. Sie sind nie wiedergekommen, sonst hätten sie uns sicher heute noch geholfen. 

Aber die Lust am Lesen habe ich mir das ganze Leben hindurch trotz Hörbücher, Computer und Laptop bewahrt.  einzel

  

Einladung zum Welpenabend

 Da staunten Bettermanns nicht schlecht, als sie in ihrem Briefkasten eine Einladung zum Welpenabend fanden. Am 27. Mai, um 1930 Uhr, veranstaltet das Hundezentrum Thekla im Gasthaus Zur Scheune einen Informationsabend „Ein Welpe zieht ein“. Da sollen in geselliger Runde zukünftige Hundebesitzer Fragen rund um den guten Start für einen kleinen Hund in einem neuen Heim erhalten. Jeder Gast ist herzlich willkommen, auch diejenigen, die sich keinen Hund anschaffen wollen. 

„Wenn wir uns einen Hund anschaffen, ist es aus mit unseren Urlaubsreisen.“ Herr Bettermann wusste, wovon er sprach.  

Frau Bettermann, eine Hundeliebhaberin, überredete mit Engelszungen ihren Klaus, trotzdem an der Veranstaltung teilzunehmen. Zu gern befasste sie sich mit Geschichten rund um den Hund. Es faszinierte sie, dass der Hund einen 10.000fach stärkeren Geruchssinn als der Mensch besaß. Deshalb konnte er auch bei der Kriminalpolizei als Spürnase eingesetzt werden. Und durch spielerische Erziehung verrichtete er diese Dienste freiwillig und oft mit Vorfreude auf ein Leckerli. 

„Neben einer Vorführung der Rettungshundestaffel und Longiervorführung wird auch ein Fotoshooting mit einem Vierbeiner angeboten.
Für das leibliche Wohl wird mit Gegrilltem und gekühlten Getränken und einem Eismobil gesorgt. Und solche niedlichen Welpen zu streicheln oder auf den Arm zu nehmen, ist ja auch ein Erlebnis.“ Frau Bettermann brachte alle Überredungskünste an den Mann. 

Und Klaus kam wirklich mit.
Was war das Ende vom Lied? 

Bettermanns gingen spät abends zwar nicht mit einem Hundewelpen nach Hause, aber Gabi Bettermann hatte ein Foto in ihrer Handtasche, das sie mit ihrem Lieblingshund – einem Berner Sennenhund – zeigte, natürlich mit einem Welpen.
und un eim erhalten undebesitzer Fragen rund um den guten

 

Anziehungskraft
 
Es war Emmis 9. Geburtstag. Ihre Mutter hatte extra einen Tag Urlaub genommen, damit sie mit ihrer Tochter einen schönen Tag verleben konnte.
Aber Emmi hatte sich diesen Tag anders vorgestellt.
„Mutti, du kannst ruhig zur Arbeit gehen, ich bin sowieso nicht zu Hause.“ 

„Nicht zu Hause, zu deinem Geburtstag?“
Die Mutter sah Emmi fragend und ein bisschen enttäuscht an. 

„Ich möchte an meinem Geburtstag in den Hort gehen“ verkündete das selbstbewusste Fräulein Tochter.
„Warum denn das?“
„Na, weil die Kinder dann für mich singen“ klärte Emmi die Situation auf.
„Stell` dir vor Mutti, alle Kinder singen nur für mich und ich darf vorn stehen und zuhören.“
Die Mutter war sprachlos. Wieder eine neue Seite an ihrem Kind, die sie noch nicht kannte. Dann fiel ihr ein: „Wir müssen ja einen Geburtstagskuchen mit in den Hort nehmen. Aber für wie viel Kinder soll der Kuchen reichen?“ Der Mutter gingen viele Gedanken durch den Kopf. 

Ob ich die Erzieherin anrufe? Aber das sieht auch komisch aus, als wollte ich sie daran erinnern, dass Emmi Geburtstag hat. Dann nahm sie sich ein Herz und wählte die bekannte Nummer. 

„Ich traue es mich gar nicht zu sagen, aber es sind 40 Kinder da“ vernahm sie die Stimme am anderen Ende der Leitung.
40 Kinder?
Das bedeutete, Kuchen für 40 Kinder zu backen, und gleich war es 20 Uhr. Habe ich genug Mehl, Butter, Zucker und Eier im Haus? 

Bis nachts 1 Uhr wurde gebacken, gezuckert, verziert, geschnitten, Emmis Vater wurde voll und ganz mit eingespannt. 

Am Geburtstagsmorgen wurde Emmi mit vier großen Kuchentellern in den Hort gefahren.
Viele Hände streckten sich ihr entgegen und wollten ihr gratulieren. Sie wurde sogar zigmal umarmt.
Das war Emmis Tag. So hatte sie sich ihren Geburtstag vorgestellt. 

Im Nu hatten sich die Hortkinder zum Chor aufgestellt, die Erzieherin gab den Ton an und die Kinder sangen aus voller Kehle: Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst, wie schön, dass wir beisammen sind, wir gratulieren dir, Geburtstagskind. 

Da kullerten nicht nur bei Emmi Freudentränen, sondern auch bei ihrer Mutter und Emmi flüsterte ihr ins Ohr: Nächstes Jahr werde ich 10, da kann ich das noch einmal erleben. 

 

Spurensuche

Auf der Suche nach Greifswalder Geschichten fiel mir ein Buch mit dem Titel „Aus vergangenen Tagen“ von Hugo Schulz in die Hände.
Darin wird unser Greifswald um die Zeit um Neunzehnhundert beschrieben.
Lassen Sie sich mitnehmen auf diese Zeitreise und uns einige Perlen heraussuchen. In der Phantasie kann man es mit heute vergleichen. Los geht´s! 

Kam man in Greifswald mit dem Zug an, hatte man im Sommer das schöne Bild des Paepke-Platzes und den grünen Wall vor Augen. Das war ein erfreulicher Anblick. Allerdings musste man den Blick auch nach unten richten, denn das Katzenkopfpflaster vor dem Bahnhof und in der Langen Straße bis hin zum Vettentor nahm die Aufmerksamkeit voll in Anspruch, wenn man nicht stolpern oder fehltreten wollte.
An den Straßenecken standen die gusseisernen Wasserpumpen, die von unterirdischen Quellen gespeist wurden. Allerdings war das Wasser nicht überall gleichwertig und die Dienstmädchen wurden dazu angehalten, das beste Wasser eimerweise in die Wohnungen zu schaffen. 

In der Langen Fuhrstraße sah man die 1850 erbauten Klinikgebäude und man konnte sogar am unteren Ende das Steinbecker Tor entdecken. Können Sie sich vorstellen, dass Frauen hier auf den Wiesen ihre Wäsche bleichten?   

Am bereits gepflasterten Marktplatz angekommen hatte man die damals schon alten stattlichen Giebel- und Speicherhäuser mit ihren Dachetagen vor Augen, das Rathaus und die Ratsapotheke. Eine Reihe kleiner Häuser hatte 1895/96 dem prunkvollen roten Postgebäude weichen müssen.  Erzählt wird von einem ganz alten Gebäude mit einem hohen Giebel, der „akademischen Bierhalle“. Es besaß im Inneren eine Diele mit einem Umlauf im 2. Stock, von wo die interessiert lauschenden Gäste oft kleine Theatervorstellungen vorgeführt bekamen, die der Wirt selber veranstaltete.
Ein Theater gab es ja noch nicht. Das wurde erst 1915 erbaut. 

Das Warenhaus Erdmann stand schon an der Ecke zur Fleischerstraße, in der sich heute die Weiland-Buchhandlung befindet.
Neben dem Kaufhaus war die Hauptwache des Jägerbatallions stationiert, wo abends zum Zapfenstreich geblasen und sonntags auf dem Marktplatz aufgespielt wurde.
Und mitten auf dem Marktplatz stand das Siegesdenkmal. Es erinnerte an den Sieg über die Franzosen. Aber seine Entstehung verdankte es auch dem Bau der Städtischen Wasserleitung, die 1888 bis 1891 entstand.
Die Geschichte erzählt, dass sich bei der Einweihung jung und alt mit Freudentränen in den Augen in den Armen gelegen hat.
Der Bau der Kanalisation in Greifswald wurde erst 1915 abgeschlossen, aber elektrischen Strom gab es in einigen Häusern schon 1903. Das Gaswerk wurde bereits 1858 in Betrieb genommen.
Dem jungen Bürgermeister Dr. Dr. Gerding ist der Bau der Kanalisation zu verdanken und dass von Stund an die Bürgersteige sauber gehalten werden konnten. Man kann sich schwerlich Haushalts-, Essens- und Schlachtereste auf den  Straßen vorstellen und auch nicht den Geruch dazu. 

Nun gehen wir weiter zum Rubenowplatz, der zu früherer Zeit  als Übungsplatz der Jägergarnison diente. Der Lärm soll aber die Studenten in der nahen Universität nicht weiter gestört und vom Studieren abgehalten haben. Das Rubenowdenkmal steht seit 1857 dort. Später pflanzte man Bäume und Hecken auf dem Platz an, an denen wir uns heute noch erfreuen können.  

Aber lassen Sie sich weiter durch das alte Greifswald nehmen. Im Schuhhagen stand eine ältere Herberge, in der sogar der Schwedenkönig Gustav Adolf und später auch Wallenstein übernachtet haben sollen.
In der Hafen- und Fischstraße bis hin zum Fischmarkt erklang das Rufen der Fischfrauen, die mit ihrem „Haalt Hiering!“ sich stimmlich überboten. Mit ihren Holzkarren schoben sie den frischen Fang durch die Straßen. 

Wenn man in Greifswald promenieren wollte, ging man auf den Wall. Jetzt gehen wir in Gedanken durch das Fettentor und kommen auf eine größere Wiese, auf der es unzählige Champignons gab, um die in den Morgenstunden ein regelrechter Wettbewerb entbrannte. Sicher wurden sie an Markttagen auf dem Marktplatz neben anderen Viktualien feilgeboten.
Die Linden und Kastanienbäume waren schon damals der Schmuck des angelegten Walls. Sonntags war Familientag und man ging am Schwanenteich spazieren. An den Tierpark war noch nicht zu denken. Aber viel weiter durfte man nicht gehen, denn hinter dem Karlsplatz und der Karlsstraße (heute Falladastraße) versank man im Sumpf und Morast. 

Zwischen der Papen- (der heutigen Martin-Luther-Straße)  und der Baderstraße wurde die Höhere Töchterschule, das Lyzeum, erbaut. Es steht heute noch und ist ein Teil des Gymnasiums der Stadt.
Können Sie sich vorstellen, dass sich zwischen Papenstraße und der Fleischerstraße bis hin zur Rubenowstraße seit 1793 ein Botanischer Garten befand?  Da muss man sich die Augenklinik, die Alte Uni-Bibliothek und das Physiololgische Institut noch wegdenken. 

Auch konnte man von der Domstraße nicht unmittelbar auf den Wall gelangen. Dazwischen lagen Wassergräben und kleine Holzbrücken. Viele Gärten und Felder umgaben die Stadt, die von fleißigen Bürgern bebaut und bestellt wurden.

Erst Münter haben wir es zu verdanken, dass der Wall in seiner heutigen Form entstand. Im Müntergrund floss noch ein Schlammbach, der zugeschüttet wurde und der Stadtgraben teilweise unterirdisch weiter fließt. Münter ließ viele Mandelbäume anpflanzen, die es heute dort nicht mehr gibt. 

Aber jetzt blicken wir über die Stadtmauer vom Wall aus und sehen den Turm der Jakobikirche, der Marienkirche und den Turm vom Dom, dem Schmuckstück unserer Stadt.
Nun sind wir bei unserem  Rundgang beim Sol- und Moorbad angekommen. Da es aber immer an den nötigen Mitteln für die innere Einrichtung fehlte, ist es nie das geworden, was man angestrebt hatte, Greifswald einen Platz unter den Bädern zu geben. 

Wollte man von dort wieder zum Bahnhof gelangen, musste man auf schmalen Holzstiegen über den Stadtgraben balancieren, die ziemlich baufällig aussahen und sich in einem üblen Zustand befanden.
Auch von der Papenstraße führte noch ein hölzerner Steg auf die Bahnhofstraße. Den Lutherhof gab es noch nicht. Hier begrenzte eine hohe Ligusterhecke die Straße.
Um die Jahrhundertwende gab es viele Neuerungen in Greifswald. Eine Bahnlinie führte direkt durch die Stadt und verband die Vororte wie Weitenhagen, Gristow, Hanshagen und Wieck miteinander.  Industriebetriebe entstanden, neue Straßen wurden gebaut. Zuerst die Lange Reihe, die erste Straße im Vorland, die Wolgaster Straße, die Anklamer und Grimmer Straße. Das Gymnasium stand noch ganz allein auf weiter Flur. 

Aber wir wollen ein Stück die Anklamer Straße hochgehen. Ganz am Anfang stand noch das Brunnenhäuschen. Ging man noch ein Stück weiter, kam man an eine ganz bemerkenswerte Stelle. Dem Auge des Betrachters bot sich ein liebliches Bild. Sage und schreibe 21 Windmühlen klapperten hier und man sagte scherzhaft: Wenn du mit dem Zug nach Greifswald fährst, kannst du dich an den Windmühlen orientieren. Wenn die auftauchen, bist du in Greifswald. 

Nun sind wir wieder am Bahnhof, der damals viel kleiner als heute war. Gleich neben dem Bahnhof lag der Aktien-Garten oder besser gesagt eine Gartenwirtschaft. Später ist daraus der Botanische Garten entstanden, dahinter die Brauerei. Die Loitzer Straße war noch Garten- und Ackerland. 

Wir haben einen kleinen Rundgang durch das alte Greifswald gemacht. Aber es fehlen noch viele Namen der Persönlichkeiten, die Greifswald geprägt haben. Einige habe ich genannt, die uns bis heute begleiten. Dazu gehören Ernst-Moritz-Arndt, Bugenhagen, Odebrecht, Hugo Helfritz, Carl Gesterding, Ferdinand Fleischmann und angesehene Familien wie Weissenborn, Kessler, Hinrichs und viele Professoren der Universität. Aber es würde zu weit führen, alle Namen zu nennen.  

Ich hoffe, unser kleiner Ausflug hat Ihnen gefallen und empfehle Ihnen, wer sich für das alte Greifswald mehr interessiert, nach den Büchern von Hugo Schulz im Antiquariat bei Herrn Rose nachzustöbern.  

 

Birnen und Klöße

Wenn man schlesische Vorfahren hatte, kam so manches Gericht zu Mittag auf den Tisch, dass man im Dorf nicht kannte.
Birnen und Klöße, fragten einige, noch nie gehört. Passt denn das zusammen? 

Und wenn die Eltern viele Mäuler zu stopfen hatten, war man froh, wenn man diese satt bekam.
Aus dem Garten hatte man Kartoffeln. Also: Es wurden Pellkartoffeln gekocht, die wurden geschält, gerieben und mit etwas Salz, einem Ei und Mehl zu einem Kloßteig verarbeitet. Die Klöße kamen dann ins kochende Salzwasser und mussten 20 Minuten ziehen. 

In der Zwischenzeit wurden ungefähr acht Birnen – auch wieder aus dem Garten – geschält, in Stücke geschnitten und mit zwei Nelken, Zucker und einer Prise Salz weich gekocht. Etwas Stärkemehl wurde in kaltem Wasser eingerührt und mit einem Eigelb wurde die Soße abgezogen und der Geschmack abgerundet.
Wenn die Lebensmittelkarten es erlaubten, wurden noch Speckwürfel ausgelassen und unter die Soße gegeben, damit es deftiger schmeckte. Das kam aber nur in Seltenheitsfällen vor.
Jedenfalls war das für meine Brüder und mich ein Festtagsessen. 

Nach vielen Jahren in der Fremde erinnerte ich mich an diesen Schmaus. Ich war längst selber verheiratet und hatte Kinder.
Aber wie war das Rezept noch mal? In Gedanken trug ich die Zutaten zusammen. Aber irgend etwas fehlte noch.
Ich rief meine Cousine an und wir überlegten gemeinsam. Sie bekam gleich Lust, dasselbe Essen auszuprobieren.
Es fand sogar seinen Platz in meinem selbst geschriebenen Kochbuch. 

Aber leider hat es uns nicht mehr so gut geschmeckt wie in unseren Kinderjahren. Entweder hatte sich unser Geschmack verändert oder es fehlte als wichtige Beilage die Liebe und die Kochkunst unserer Mütter. 

 

Das fliegende Hochzeitsgeschenk

Weil ich dafür bekannt bin, dass ich Geschichten schreibe, bekomme ich ab und zu eine gratis geliefert.
Der Anlass war die Hochzeit meines Neffen mit seiner Daniela in Göttingen.
Es sollte ein besonderes Geschenk sein, das er seiner Liebsten zum Anfang ihres gemeinsamen Lebens präsentieren wollte.
Blumen, Raumschmuck und Ringe waren schon gekauft, nur das i-Tüpfelchen fehlte.
Da kam David der Zufall zu Hilfe.
Während er noch grübelnd am Fenster seiner Studentenbude stand, flog ein Schwarm weißer Tauben am Himmel vorüber.
Und schon war die Idee geboren. Weiße Tauben müssten nach der Trauung in die Höhe aufsteigen.
Aber wie und wo kam man zu weißen Hochzeitstauben? 

Kurz entschlossen wurde gegoogelt und siehe da, Taubenzüchter mit Rang und Namen verliehen natürlich gegen Bezahlung ihre Schönheiten. 

Der Besuch beim Züchter brachte noch eine Geschichte dazu.
Er schilderte David wie er dazu gekommen war, weiße Tauben zu züchten.
Schon als Junge interessierte er sich für die Taubenzucht seines Vaters. Der züchtete aber nur graue Tauben. Er fand die weißen schon immer so schön.
Wie sie gestelzt ihre Füße setzten, den Kopf stolz hoben und die Schwanzfedern wie eine Schleppe trugen. Das faszinierte ihn.
Dazu kamen dieses Weiß und ihre Sanftmut. 

Er besorgte sich von einem anderen Züchter ein weißes Pärchen und begann zu züchten. Vielleicht gelang es ihm ja, dieses Edle, diese Reinheit wie frisch gefallener  Schnee und dieses Symbol für Frieden in seinen schnöden Taubenschlag zu transportieren. 

Nach etlichen Fehlversuchen schlüpften dann Schneeweißchen und Schneewittchen aus ihren Eiern. Er nannte sie schon mal so in seiner Vorfreude, dass ihm die Zucht gelungen war.
Aber noch sahen die beiden aus! Man musste schon seine Phantasie bemühen, um sich ihre spätere Klasse vorzustellen. Noch waren sie nackt und blind und hatten einen dicken Kropf.
Vielleicht war es ja wie bei dem hässlichen Entlein und sie wuchsen sich noch aus. 

Das Elterntaubenpaar gab sich die größte Mühe, ihre beiden Nesthocker aufzuziehen. 

Und weil der Züchter der Küster von der Kirche im Ort war, stellte er sich vor, dass viele Brautpaare seine weißen Tauben als Symbol für Frieden, Liebe und Reinheit nach der feierlichen Hochzeitszeremonie auffliegen lassen wollten.
Im Laufe der Zeit saß auf seinen Stangen im Taubenschlag eine weiße Taube neben der anderen.  

Aber hatten seine kostbaren Vögel die Befähigung der Rückkehr zum heimatlichen Schlag in sich oder waren sie ein Opfer der Zucht geworden?
Waren sie nur schön oder waren sie auch anderweitig zu gebrauchen? Diese Fragen beschäftigten ihn nicht wenig. 

Er begann mit dem Training.
Runde um Runde drehten seine Lieblinge in der Nachbarschaft und kamen immer wieder zurück. Herr H. nahm sie in einem Korb viele Kilometer weit in seinem Auto mit an entfernte Orte und ließ sie dann mit bangen Augen fliegen. Er dachte nur immer, finden sie zurück?
Und sie konnten es noch.
Bevor Herr H. mit seinem Auto zu Hause anlangte, waren seine Lieblinge schon im heimatlichen Schlag.
Viele Male übte er mit ihnen.
Dann kam die Hochzeit heran, zu der sie zum ersten Mal auffliegen sollten. Nicht nur der Küster hatte Herzklopfen.
Schneeweißchen und Schneewittchen, die Erstlinge, hatten eine Sonderstellung. Sie durften aus den Händen der Frischvermählten auffliegen.
Ganz ruhig standen sie bereit, ernst und konzentriert. Sie hatten es ja oft genug geübt und ließen sich herausnehmen.
Sie bekamen ihr Solo, dann wurde der Deckel des blumengeschmückten Korbes geöffnet und wie eine weiße Wolke stiegen die anderen Tauben auf. Die Gäste und der Kinderchor klatschten Beifall. 

David war nicht nur von der Geschichte des Züchters beeindruckt, sondern auch von den schlohweißen Federkleidern der Vögel, die er sich schon mal anschauen konnte. 

Schnell wurde man einig. Ort, Tag, Zeit der Trauung und die Anreise wurden vereinbart und es stellte sich heraus, dass nicht nur Davids junge Frau auch die Hochzeitsgäste mit den Tränen kämpfen mussten, als Schneeweißchen und Schneewittchen und die ganze weiße Schar in die Wolken flogen. 

Viele schöne Fotos zieren seit diesem unvergesslichen Tag das Hochzeitsalbum der beiden, denn nicht immer kann ein Geschenk fliegen. 

 

Das Geheimnis

 Das Gespräch mit seiner Mutter war wieder so ausgegangen wie Daniel es erwartet hatte.
Seit er sieben Jahre alt war wusste er, dass er als Baby adoptiert worden war.
Dieses Thema hatte ihn erst intensiver beschäftigt als er älter wurde.
Wer bin ich, wo komme ich her? Warum wurde ich adoptiert? Wer sind und wo sind meine leiblichen Eltern? Wie ist mein richtiger Name? Wurde Bruder Mirko auch angenommen? 

Er beschäftigte sich zwar in Gedanken mit diesen Fragen, hatte aber nicht das Bedürfnis ihnen auf den Grund zu gehen.
Er hatte die besten Zieheltern, ihm fehlte nichts zum Glück. Mit dem jüngeren Bruder Mirko verstand er sich gut. Es gab zwar mal Kabbeleinen, das war wohl normal unter Brüdern, aber sie hielten zusammen. Daran hatte sich auch in späteren Jahren nichts geändert.
Daniel und Mirko hatten beide in Berlin studiert und waren als Anwalt bzw. als Volkswirt tätig.
Mirko hatte als Jüngerer während des Studiums seine große Liebe geheiratet und Daniel war seit ca. zwei Jahren mit Julia zusammen.
Es wurden gemeinsame Pläne geschmiedet. Es war ausgemacht, nach dem Studium wollten sie heiraten, zusammenziehen und erstmal Geld verdienen, die Welt bereisen und dann Kinder planen. 

Alles war bis dahin glatt gelaufen in Daniels Leben, so dachte er zumindest. Die Eltern und auch Mirko hatten ihn nie fühlen lassen, dass er eigentlich ein Fremder in der Familie war.
Bis es zur Hochzeitsplanung kam.
Für das Aufgebot auf dem Standesamt benötigte man die Geburtsurkunde.
Bis zum heutigen Tag hatte er sie nicht gesehen.
Und gerade diese Urkunde verweigerte ihm die Mutter. Sie wollte sie nicht herausgeben. 

Daniel konnte es nicht fassen. Seine Eltern und besonders seine Mutter waren stets liebevoll und gerecht zu beiden Jungen gewesen und jetzt machte sie eine schmerzliche Ausnahme. Mirko hatte ohne Schwierigkeiten heiraten dürfen und er nicht? Er sollte mit Julia ohne Hochzeit zusammen leben. 

Als Daniel das erste Mal nach der Urkunde fragte, hatte sich die Mutter herausgeredet, dass sie diese erst suchen müsse. Beim zweiten und dritten Versuch merkte er, dass es der Mutter nicht recht war, sie danach zu fragen und sie vertröstete ihn weiter. Daniel ging auf Spurensuche bei Oma, Opa, Tante, Onkel. Alle hielten sich bedeckt, wussten angeblich nichts Genaues. Ein Familiengeheimnis! 

Nach einiger Zeit wollten die jungen Leute nicht länger warten und Daniel hatte zum ersten Mal einen handfesten Streit mit seiner Mutter bekommen. Daniel möge ihre Meinung akzeptieren. Punkt! Ende der Diskussion! 

Was für ein Geheimnis gab es denn um seine Adoption? War er vielleicht ein Findelkind aus der Babyklappe? Warum stellte sich die Mutter, mit der er sich immer gut verstanden hatte, auf einmal gegen ihn. Er hätte sich kein besseres Elternhaus vorstellen können und war seinen Eltern dankbar für seine Kindheit und Jugend. 

Daniel grübelte, besprach alles mit Julia.
Die abenteuerlichsten Vermutungen kamen zustande:
Zwangsadoption, uneheliche Geburt, Kindesraub oder Entführung kamen zur Sprache. Aber diese Vermutungen brachten sie auch nicht weiter. 

Fakt ist, ohne Geburtsurkunde kann er Julia nicht heiraten und eine Familie gründen und Nachforschen auf den zuständigen Ämtern kommt ihm wie Verrat an den Eltern vor. Wie soll er sich nun entscheiden? 

Also? Ohne Geburtsurkunde keine Hochzeit, ohne Hochzeit keine Julia.
Aber nun tritt gerade zur richtigen Zeit für Daniel ein Gesetz in kraft, das es den Betroffenen ermöglicht, leichter an ihre Urkunden heranzukommen und das wäre ihm nur zu wünschen. 

 

In Mutters Kleidern

Sandra knallte die Tür hinter sich zu.
Solche altmodischen Kleider sollte sie von ihrer verstorbenen Mutter auftragen. Niemals!
Die Mitschülerinnen würden sie auslachen, würden hinter vorgehaltener Hand über sie flüstern.
Trotzig stand sie vor dem Spiegel. Zu weit, zu lang, nicht der richtige Schnitt, nicht die richtige Farbe für ein Kind von 11 Jahren. Eine Katastrophe!
Eine Vogelscheuche sieht besser aus als ich, dachte sie unglücklich. 

Am nächsten Morgen schlich sie sich die letzte Minute in die Schule auf ihren Platz und sah sich um. Keiner hatte von ihr Notiz genommen. Es war erst mal gut gegangen. Sandra sah sich weiter um. Ihre Mitschülerinnen sahen auch nicht gerade wie aus dem Modejournal aus. Die eine hatte aus kunterbunten Wollresten einen Ringelpullover an, der auch viel zu lang war, zu bunt und bestimmt aus kratziger Wolle bestand.
Die Nächste hatte einen Samtrock an, sah auch wie abgelegt aus, abgeschabt und verwaschen.
In der Nachbarbank saß ihre Schulfreundin. Sie musste einen Mantel tragen, der aus Wolldecken zusammen genäht war. Damit war sie bestimmt auch nicht froh.
Und erst die Lehrerin: Eine verblichene weiße Bluse, eine Strickweste und eine karierte Pluderhose, bei der vielleicht ein Derwisch Pate gestanden hatte.
Nur Edeltraud, eine von und zu, hatte keine Kleidersorgen. Sie sah gegen die anderen Mädchen in der Klasse wie eine Prinzessin aus. Sicher hatte sie Westverwandtschaft, die sie ausstatteten. Sie trug weiße Spangenschuhe aus Lackleder und einen Petticoat unter ihrem blumigen Rock.
So müsste man aussehen, dachte Sandra, dann würde alles mehr Spaß machen. 

Als es klingelte, verließ sie als Letzte die Klasse.
Zu Hause musste das gute alte Mutterkleid ausgezogen und auf einen Bügel gehängt werden, damit es recht lange hält und sich wieder aushängt.
Aber das Schlimmste war, es gab etliche Kleider in Mutters Schrank und sogar einen Mantel, den Sandra auftragen sollte. Schrecklich!
Stoff gab es in den fünfziger Jahren noch auf Bezugsscheine und der Vater war sicher froh, dass er für alle seine Kinder etwas zum Anziehen hatte.
Und Schuhe waren auch noch da.
Gurken, dachte Sandra verächtlich.
Aber Hilfe nahte.
Die Patentante aus Berlin, Mutter von drei halbwüchsigen Töchtern, kam zu Besuch und die konnte nähen. Nun eilte Sandra schnellstens nach der Schule nach Hause. Die Kleider wurden aufgetrennt, neu geheftet und modernisiert, gekürzt und mädchenhaft verändert, so gut es ging. Da nahm man die dunklen Farben in kauf.
Aber das Schönste war, die Tante hatte ihr eine Strickjacke und einen passenden Trägerrock gestrickt, zwar aus aufgeräufelter Wolle aber mit bunten Kordelbändern und hellen Knöpfen. Sandra wirbelte die Tante in der Stube herum vor Freude.

Die Sonne schien wirklich heller, als Sandra die nächste Zeit zur Schule ging und das sollte noch eine ganze Weile anhalten. 
 

Nachtgedanken

Vor nicht allzu langer Zeit begegnete mir der Begriff „Lichtverschmutzung“ zum ersten Mal. Gemeint sind die taghellen Flecken, die man nachts aus einem Flugzeug heraus sehen kann und die auf eine größere, erhellte Stadt hinweisen.
Daran musste ich denken, als wir am Wochenende vom Sommer-Gartenfest durch die  dunklen Gartengänge bis zu unserer Parzelle stolperten und das Schlüsselloch von der Gartenpforte nicht gleich fanden.
Man ist es nicht mehr gewöhnt, so völlig ohne Straßenbeleuchtung durch die Gegend zu laufen. 

Das erinnerte mich an die Jahre nach 1945. Da gab es auf den Straßen auch nur die Mondbeleuchtung. Und wenn Neumond oder ein bewölkter Nachthimmel war, tappte man ebenso im Dunklen. Im Winter wurde wegen Überlastung oder Einsparung der Strom abgeschaltet und wehe man hatte seine Hausaufgaben noch nicht auf die Schiefertafel gebracht. Da musste man bei Kerzenschein schreiben. 

Später funktionierten wenigstens die Gaslaternen wieder, wenn das Gas nicht gerade abgeschaltet war und Pflaumen-Willi aus unserem Dorf fuhr beim Dunkelwerden mit einer langen Stange von Laterne zu Laterne und entzündete den Gasstrumpf. 

Heute wohnen wir direkt neben dem neuen großen Klinikum, das nachts ringsherum und innen taghell erleuchtet ist.
Die Helligkeit dringt bis hinter die heruntergelassenen Rollos des Schlafzimmerfensters, so dass man kein Licht anschalten muss, um den Weg ins Bad zu finden. 

Wenn nur jede zweite Straßenlaterne leuchten würde, wäre das Licht noch ausreichend und dem Stadtsäckel käme es ebenso zugute. 

Nur die nächtlichen Radfahrer verkennen wohl das Sparprinzip, denn sie sind oft ohne Beleuchtung unterwegs. Wenn man Glück hat, fahren sie ja auf den Fußwegen, aber wir haben es auch schon erlebt, dass sie mit ihrem unbeleuchteten Rad auf die Fahrbahn springen und weiterfahren. Dann muss man aufpassen wie ein Luchs.  

Am dunklen Gartenhäuschen angekommen nehmen wir uns ernsthaft vor, zum nächsten Gartenfest eine Taschenlampe einzustecken, damit wir nicht wieder über die Grasbüschel stolpern müssen. Der kleine Lichtkegel wird ja nicht gerade zur vermehrten Lichtverschmutzung beitragen. 

 

 Schlüsselgewalt

Die Generalprobe vor dem Weihnachtskonzert war um 19 Uhr festgelegt in der Aula der Schule. Karins Kinder waren schon etwas größer und konnten abends mal ein bis zwei Stunden allein bleiben.
Ihr Mann wollte zur letzten Probe vor dem Chorauftritt mitkommen, aber zuerst wollte er das Fußballspiel noch bis zum Ende ansehen.
Karin machte sich hübsch und dachte sich beim Anziehen: „Die Kinder werden doch nicht die Weihnachtsgeschenke nachstöbern, wenn ich aus dem Haus bin. Die Schrankschlüssel werde ich mal lieber abziehen und verstecken.“ Gesagt, getan!
Die Generalprobe begann und ihr Mann kam im letzten Augenblick.
„Na“, sagte er, „du bist gut. Schließt die Schränke ab und ich komme nicht an meine Sachen.“
„Und“, fragte Karin „wieso bist du dann trotzdem so fein angezogen?“
„Die Kinder haben mir doch gezeigt wo die Schlüssel liegen.“
Ja, so geht es nur in der Weihnachtszeit zu. 

 

Vorbilder

Die Sonne schien an diesem Sonntagmorgen besonders warm und hell. Man hatte den Eindruck, viele Menschen hatten denselben Gedanken und spazierten zu früher Stunde auf den Brühlschen Terrassen in Dresden. In dieser Sonntagsstimmung fanden wir eine Bank mit Blick auf die Elbe und die Raddampfer, die sich in Richtung Sächsische Schweiz in Bewegung gesetzt hatten.
Von irgendwoher drang zartes Geigenspiel an unsere Ohren. Wunderschöne Töne entlockte der Künstler seiner Geige. Vielleicht war es jemand aus dem Ensemble der Semperoper, der sich ein paar Cent dazuverdienen wollte oder arbeitslos geworden war. Wer weiß?
Als wir später an dem Spieler vorbeigingen,  waren wir ganz erstaunt, dass es ein halbwüchsiger Junge war, der auf seiner alten Geige diese Weisen vortragen konnte.
Das machte uns neugierig. In einer kleinen Pause fragten wir ihn. Und er antwortete:
„Ich werde nächsten Monat elf Jahre alt und spiele seit meinem fünften Lebensjahr Geige. Es ist eine alte geborgte Geige und ich möchte von dem Geld, das ich mir durch das Spielen verdiene, eine neue Geige kaufen, eine eigene.“
Viele Menschen gingen an diesem Sonntagmorgen an dem Jungen vorbei und so mancher Euro wanderte in seinen offenen mit rotem Samt ausgeschlagenen Geigenkasten.
Uns fiel ein anderer kleiner Junge auf, der von seiner Mutter von dem kleinen Künstler weggezogen wurde. Er hatte mit offenem Mund den Klängen gelauscht und wollte noch nicht weitergehen.
„Komm“ sagte die Mutter und zog in energisch am Ärmel. „Wir haben keine Zeit für solchen Quatsch.“
Dabei hatte der kleine Geiger Stücke von J. S. Bach, Franz Schubert und noch weitere schöne Stücke gespielt.
Nachdem auch wir ihm ein paar Euro in seinen Geigenkasten gelegt hatten, gingen wir langsam weiter, noch eine Weile seine Töne in den Ohren.
Wer weiß, vielleicht hat der Junge ein Vorbild, den Teufelsgeiger David Garritt, dem er nacheifern wollte. Der Grundstock war jedenfalls schon gelegt.

 
   
 
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